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Brich das Eis!(?) - Eine „finnische“ Erfahrung


Rückblende: Ich stehe als kleiner Stöpsel am zugefrorenen See in einem Park. Familienausflug an Weihnachten. Für mich sah die Eisdecke stabil und tragfähig aus. Also lief ich in großen Schritten dem gegenüberliegenden Ufer entgegen. Schnell ans Ziel kommen. Doch dann: „Knacks!“ Der Schuh füllt sich mit Wasser, der zweite zieht nach. Kurz danach stand ich bis zur Brust im eiskalt

en See. Ich kämpfte mich heraus und lief zu meinen Eltern, die zuerst mit mir schimpften, den Schrecken in meinen Augen sahen und mich trösteten.


30 Jahre später. Finnland im Dezember. Ich stehe am Töölönlahti, dem innerstädtischen See in Helsinki. Ein sonniger Vormittag. Die Sonne bringt den Reif auf der Eisdecke des Sees zum Schimmern und die Luft ist frisch. Temperaturen um den Gefrierpunkt. Einige Finnen gingen auf dem See spazieren. Meine Chance! Was die Finnen können, das kann ich auch! Rauf auf's Eis! So schwer kann das ja nicht sein. Das gegenüberliegende Ufer ist das Ziel! Da will ich hin!




Ich sehe das gegenüberliegende Ufer und der Anblick der Finnen, die sich sicher und souverän über das Eis bewegen. Das gibt mir den Anreiz auch über den See zu laufen. Die großen Schritte vermeide ich diesmal. Man lernt ja dazu. Ein Auge auf dem Ziel, ein Auge auf der Eisdecke unter mir. Schritt für Schritt. Herrlich die ersten Schritte. Ich gehe vorsichtig die ersten Meter und wage mich tatsächlich recht weit in die Mitte des Sees. Bis mir das Eis ein Feedback gibt: unter meinem Schuh beginnt sich Wasser zu sammeln. Das Eis scheint nicht mehr tragfähig zu sein. Mein Fuß sinkt ein, bleibe ich jedoch weiterhin stabil. Ein weiterer Schritt nach vorne. Ich will ja an das gegenüberliegende Ufer. Ich habe ja schon ein großes Stück geschafft. Der zweite Fuß sinkt etwas ein. Ich muss doch ans andere Ufer! Ich teste die Tragfähigkeit des Eises einen halben Meter weiter seitlich. Scheint besser zu sein. Fuß zur Seite, belastet – wieder scheint das Eis nachzugeben. Die Sekunden auf dem Eis scheinen sich zu Minuten und Stunden zu ziehen. Was mache ich denn nun? Ich möchte doch ans andere Ufer! Nehme ich Geschwindigkeit auf und mache größere Schritte? Gehe ich weiter voran in kleinen Schritten? Kehre ich um und gehe ans sichere Ufer zurück?


Nun ja, ich habe meinen Kurs korrigiert und bin wieder zurück auf festen Boden. Nicht weil ich nicht ans andere Ufer wollte. Nicht weil ich zu wenig Mut hatte. Sondern weil das Konstrukt, auf das ich mich verlassen habe, nur oberflächlich tragfähig war. Also warte ich, bis die Eisdecke mich hält. Oder hole mir Schneeschuhe, die eine größere Fläche haben und das Gewicht besser auf dem Eis verteilen. Wenn es mir tatsächlich wichtig ist über einen gefrorenen See zu laufen, fahre ich vielleicht weiter in den Norden, wo der Winter und folglich das Eis härter ist. Wie ich es auch sehe: ich brauche eine tragfähige Strategie um mein Ziel zu erreichen. Ein minimal funktionierendes Konstrukt kann iterativ verbessert werden. Nur muss es primär zum Ziel passen.


Mut und Ziele sind notwendig um sich zu entwickeln. Dennoch sind sie nicht hinreichend. Eine tragfähige Basis ist unerlässlich. Den Kurs korrigieren kann einen alternativen Weg zum Ziel definieren. Dauert vielleicht etwas länger. Die Kunst der kleinen Schritte erleichtert eine schnellere und sicherere Feedbackschleife: Das Eis meldet mir direkt zurück, ob es tragfähig ist, nicht erst, wenn ich bis zum Hals im eiskalten Wasser schwimme. Nichts im Leben passiert ohne Grund. Der Grund ist iteratives Lernen. Lernen bedeutet Entwicklung. Entwicklung bedeutet aus der Erfahrung heraus tragfähige Konzepte zu entwickeln und unnötige Risiken zu vermeiden. Schließlich sind es nicht der See und das Eis, sondern der Weg, Erfahrung mit der Überquerung und das Equipment, die eine sichere Reise ermöglichen. Größen, die man beeinflussen kann.

Lass uns gemeinsam herausfinden, wie Du Dich sicher über das Eis bewegst.

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